
Der perfekte Köder: Was Creative Concepter und erfolgreiche Angler:innen gemeinsam haben
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Klingt wie der Titel eines Angler:innen-Handbuchs? Angler:innen und Köder versteh ich, aber was zur Hölle hat Creative Concept damit zu tun?
Kennst du den Spruch “Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.”? Zugegeben, die Herkunft und der Urheber dieses Sprichwortes ist umstritten. Manche Quellen behaupten, es kommt von Kay Tangermann, einem deutschen Werbetexter, der in den 1970er Jahren eine Größe in der Hamburger Werberwelt war. Laut Google „…einer der einflussreichsten Kreativen der deutschen Werbebranche.“ Ok, Fisch und Hamburg, das macht auch irgendwie Sinn, oder?
In der deutschen Werbegeschichte wurde dieser Spruch jedenfalls zu einem geflügelten Wort und einer Art Grundregel für zielgruppengerechte Kommunikation. Er bringt auf den Punkt, dass nicht der Geschmack des Auftraggebers, der Kund:innen (der Angler:innen) entscheidend ist, sondern die Bedürfnisse und Präferenzen der Zielgruppe (des Fisches). Ein alter Werbespruch, der heute aktueller ist denn je. Als Creative Concepter bewegen wir uns täglich in genau diesem Spannungsfeld: Zwischen dem Angler (unseren Kund:innen mit ihren Produkten oder ihren Dienstleistungen), dem Köder (unserer Kampagne oder Kommunikationsstrategie) und dem Fisch (unserer Zielgruppe).
Auch wenn der Spruch schon mehr als 40 Jahre auf dem Buckel hat und sich die Werbebranche seitdem ungefähr 100x neu erfunden hat, hat er bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren. Im Gegenteil: In Zeiten von Social Media, Influencer:innen, künstlicher Intelligenz und digitaler Transformation ist er relevanter denn je. Während sich die Kommunikationskanäle und Werkzeuge in den letzten Jahrzehnten radikal verändert haben, bleiben die grundlegenden Prinzipien der zielgruppengerechten Kommunikation bestehen – wir müssen verstehen, was unsere Zielgruppe bewegt, und nicht, was uns oder den Kund:innen gefällt.
Schritt für Schritt zum perfekten Köder: Der Creative Concept Prozess
Aber um auf die Frage zurückzukommen, was denn jetzt ein Creative Concepter mit Angler:innen, Fisch und Köder zu tun hat. Eigentlich liegt unsere Jobbeschreibung schon in unserem Titel: Wir erarbeiten „kreative Konzepte“ (Englisch klingt halt einfach bisschen cooler). Als Creative Concepter bewegen wir uns täglich zwischen vielen Angler:innen (Kund:innen), Ködern (Kampagnen) und unendlich vielen Fischen (Zielgruppen). Was in den 70er Jahren noch hauptsächlich über Print und TV kommuniziert wurde – also wie unser Köder an die Fische kam – verteilt sich heute über unzählige digitale und analoge Touchpoints. Doch die zentrale Herausforderung ist dieselbe geblieben.
Sobald wir uns mit unseren “Angler:innen” auseinandergesetzt haben, ihre Stärken und auch ihre Schwächen verstanden haben, beginnt die eigentliche Kunst: Wir müssen uns in unseren “Fisch” hineinversetzen – in unsere Zielgruppe. Wie denkt sie? Was treibt sie an? Welche Bedürfnisse hat sie? Und vor allem: Wie können wir mit unserem “Köder” ihre Wünsche erfüllen oder ihre Probleme lösen?
Dabei spielt es keine Rolle, ob unsere „Fische“, also unsere Zielgruppe aus Kindern oder Vorständen besteht, ob sie TikTok oder LinkedIn nutzt, ob sie sich für Beauty-Produkte oder E-Autos interessiert. Die grundlegende Herausforderung bleibt dieselbe: Wir müssen den Fisch besser kennen als die Angler:innen. Denn nur dann können wir einen Köder entwickeln, der unserem Fisch wirklich schmeckt – sei es ein Lippenstift, Nasenstrips, eine Employer-Branding-Kampagne oder eine neue App.
Was sich allerdings grundlegend verändert hat, sind unsere Möglichkeiten, die „Fische“ kennenzulernen. Während Werber in den 70er Jahren hauptsächlich auf Marktforschung, Fokusgruppen und ihr Bauchgefühl vertrauen mussten, haben wir heute ein ganzes Arsenal an Tools und Daten zur Verfügung. Social Media Analytics, Big Data, KI-gestützte Verhaltensanalysen – die Möglichkeiten, Zielgruppen zu verstehen, waren nie größer. Und doch bleibt die menschliche Intuition, unser sogenanntes Bauchgefühl, die „kreative“ Interpretation dieser Daten, unersetzlich.
Aber jetzt mal der Reihe nach. Wie sieht die Arbeit eines Creative Concepters aus und wo fängt mein Job an?
Der Weg vom Bauchgefühl zur validierten Strategie eines Creative Concepters
Der Job eines Creative Concepters beginnt, sobald ein neues Kund:innen-Briefing reinflattert. Schon beim Lesen oder dem ersten Kickoff entsteht meist ein sehr schnelles erstes Bauchgefühl. Dieses intuitive Verständnis ist wertvoll, aber es ist erst der Anfang. Hier ist der Prozess, wie wir vom ersten Impuls zu einer fundierten Kampagnenstrategie kommen. Natürlich gibt es kleine und große Kampagnen. Und eine sehr umfangreiche Analyse-Phase ist häufig aus Zeit- und/oder Kostengründen nicht möglich, aber der grundlegende Prozess bleibt immer derselbe:
1. Beobachten und Zuhören: Wie verhält sich die Zielgruppe?
Noch bevor wir in die Datenanalyse einsteigen, ist aktives Beobachten essenziell. Wir:
- Verbringen Zeit in den relevanten Social-Media-Kanälen unserer Zielgruppe
- Verfolgen Diskussionen in thematischen Foren und Kanälen
- Beobachten das reale Verhalten der Zielgruppe in ihrem natürlichen Umfeld
- Führen informelle Gespräche mit Menschen aus der Zielgruppe
2. Systematische Recherche: Was sagen Studien und Reports?
Jetzt wird es konkret. Wir validieren unsere ersten Eindrücke durch:
- Analyse von Marktforschungsstudien (z. B. GfK, Nielsen, Statista & Co)
- Nutzung von Research Tools (z. B. SimilarWeb, Best4Planning, GWI, YouGov, WGSN & Co)
- Auswertung demografischer Daten (z. B. Kunden Insights, interne Marktforschung etc.)
- Untersuchung von Trend-Reports (z. B. Zukunftsinstitut, Megatrends, TrendWatching)
- Sichtung von Branchenstudien und Wettbewerbsanalysen (Wer angelt denn da sonst noch in unserem Teich?)
3. Datenbasierte Validierung: Was verraten die Daten entlang der User Journey?
Hier kommt der wissenschaftliche Teil ins Spiel:
- Auswertung von Social Media Analytics (Engagement-Raten, Hashtag-Analysen, Sentiment-Analysen)
- Analyse von Google Trends und Suchanfragen
- Untersuchung von Website-Analytics und User-Journey-Daten
- A/B-Testing von verschiedenen Botschaften und Visuals (z. B. mit Echtzeit-Umfrage-Tools, s. 4.)
4. Qualitative Tiefenbohrung: Welche tiefergehenden Insights kann die Zielgruppe geben?
Zahlen erzählen nicht die ganze Geschichte. Deshalb:
- Durchführung von Fokusgruppen-Interviews
- Tiefeninterviews mit ausgewählten Zielgruppenmitgliedern
- Nutzung von Echtzeit-Umfrage-Tools wie z. B. Appinio, SurveyLab
5. Verdichtung und Strategieentwicklung: Welche Content-Strategie leitet sich ab?
Jetzt gilt es, alle Erkenntnisse zusammenzuführen:
- Entwicklung von fiktiven Personas, basierend auf unseren erhobenen Daten
- Identifikation der wichtigsten Touchpoints
- Ausarbeitung der Kernbotschaften
- Definition der Content-Strategie (Definition von Inhalten und Themen, Zielen, Zielgruppen, Kanälen, Timings und Frequenz, Form – Text, Bild, Video etc.)
6. Kreative Übersetzung: Welche Maßnahmen entstehen aus der Content-Strategie?
Der entscheidende Schritt: Die Übersetzung der Erkenntnisse in kreative Konzepte. Ab hier ist es sinnvoll, Kolleg:innen aus dem Design-Team dazuzuholen, um erste Ideen zu challengen, zu konkretisieren und zu visualisieren.
- Entwicklung von Storytelling-Ansätzen, die auf echten Insights basieren
- Kreation von Visual Concepts, die die Zielgruppe authentisch ansprechen
- Ausarbeitung von Channel-spezifischen Adaptionen
- Design von interaktiven Elementen und Aktivierungsmaßnahmen
- Erstellung eines Creative Briefings (Aufgabe, Zielsetzung, Insights, Zielgruppe, Kernbotschaft, Benefits/Reason to believe, Tonalität, erste kreative Sprungbretter, Timeline, Medien/Kanäle/Formate, Vorgaben, Design Manuals)
Der Mehrwert der Validierung: Sicherheit, Priorisierung & Erkenntnisse
Was anfangs wie ein “bloßes Bauchgefühl” erscheint, wird durch diesen Prozess zu einer fundierten Strategie. Das Besondere dabei: Oft bestätigen die Daten tatsächlich unsere ersten Intuitionen.
Vorteile der datenbasierten Validierung
Am Ende steht eine Kampagne, die sowohl kreativ als auch datenbasiert ist. Die nicht nur “dem Fisch schmeckt”, sondern auch nachweislich die richtigen „Köder“ an den richtigen Stellen auswirft.
Und genau das ist die Kunst des Creative Concepters: Er weiß, woher er umfangreiches Wissen über Angler:innen, Fische und Köder bekommt, findet so die richtigen Angelstellen und hat on top hat er noch das richtige Bauchgefühl. Deshalb braucht es diese Rolle in jeder Kampagne. Denn er liefert die wichtigsten Infos für ein gutes Creative Briefing, sodass die Designer einen perfekten Köder bauen können.
Tangermannns zeitlose Weisheit erinnert uns daran, dass sich die Werkzeuge und Kanäle zwar ändern mögen, die Grundprinzipien erfolgreicher Kommunikation aber bestehen bleiben. Als moderne Creative Concepter vereinen wir das Beste aus beiden Welten: Die zeitlose Kunst des Geschichtenerzählens und Zielgruppenverstehens mit den neuesten technologischen Möglichkeiten der Datenanalyse und Kampagnensteuerung.
Ok, und wie wird man Creative Concepter?
In der Regel sind die Wege kurvig und alles andere als straight. Ich bin das beste Beispiel: Vor genau 25 Jahren habe ich in einem Verlag eine Ausbildung zur Mediengestalterin begonnen (wow, das ist echt lange her). Seit 25 Jahren arbeite ich in der Kreativbranche. Das ist das, was mir Spaß macht, was mich antreibt. Die Entwicklung zur mittlerweile Senior Creative Concept & Strategy bei mmmake war eher wie eine längere Reise. Meine Liebe für Zahlen, Strategie und Analysen, den Antrieb Dinge verstehen zu wollen, gemischt mit viel Kreativität, einem Grundverständnis für gutes Design und einem guten Gespür für Emotionen, waren dabei sicher gute Wegbereiter. Vielleicht fragst du dich jetzt: “Ist das nicht alles sehr technisch für jemanden aus dem Kreativbereich?” Ganz im Gegenteil. Eine kreative Ausbildung oder ein Kreativ-Studium ist die perfekte Grundlage für konzeptionelles Arbeiten. Denn dadurch bringst du bereits die wichtigsten Eigenschaften mit.
Eigenschaften eines Creative Directors
Der Schritt zum Creative Concepter bedeutet nicht, seine kreative DNA zu verleugnen – im Gegenteil! Es bedeutet, sein kreatives Talent mit analytischen Fähigkeiten zu erweitern und dadurch noch wirkungsvoller zu machen. Die Kombination aus beidem macht einen Creative Concepter zu einer besonders wertvollen Kraft in der Kommunikationsbranche.
Stell dir deine kreative Grundausbildung wie einen Malkasten voller Farben vor. Das strategische Denken und die Datenanalyse sind weitere Werkzeuge, die dir helfen, deine Bilder noch präziser und wirkungsvoller zu gestalten. Oder wie in unserem Fall, die perfekten Köder zu konzipieren. Zahlen, Daten und Strategien sind dabei deine Verbündeten, um deine kreativen Ideen noch zielgerichteter und erfolgreicher umzusetzen.
Denn am Ende ist es genau diese Kombination aus Kreativität und strategischem Denken, die aus guten Ideen großartige Kampagnen macht.