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Sophia Thiel früher | und heute: Von | 1,3 Millionen auf null mit nur einem Klick

20.07.2022
Lesezeit: 7 Min

Sie ist und war eine digitale Vorreiterin: Sophia Thiel. Mit ihren YouTube-Fitness-Videos schaffte sie nicht nur einen neuen Trend, sondern direkt eine neue Berufssparte, die der Fitness-Influencerin. Mittlerweile betreibt Thiel wieder Pionierarbeit, doch diesmal zum Thema Scheitern als Influencerin. Wieso das für sie heute extrem wichtig ist und wie sie selbst mit ihren größten Niederlagen umgeht, hat sie uns im Interview erzählt.

mmmake

Du warst eine der Ersten, die wirklich als Influencerin und vor allem als Fitness-Influencerin eine große Reichweite generiert hat. Und dann hast Du vor circa 3 Jahren die Reißleine gezogen und bist von jetzt auf gleich, wie man so schön sagt, von der Bildfläche verschwunden. Was genau ist da passiert?

Sophia

Also ich habe es nie geplant, dass ich jetzt irgendwie offline gehe und untertauchte. Aber ich habe einfach dem ganzen Druck nicht mehr standhalten können, denn das Influencer-Dasein ist nicht immer nur diese „heile Welt“, die glitzert, in der alles leicht ist und in der man nur auf Luxus-Urlaub ist – so ist das gar nicht. Im Hintergrund können sich da ganz andere Themen abspielen. Ich hatte immer mehr zu kämpfen, auch mit mir und wie soll ich sagen, auch mit meinen Dämonen aus der Vergangenheit. Ich habe schon seit meiner Kindheit immer ein schwieriges Verhältnis zu Essen gehabt und habe dann eben auch in dem sehr perfektionistischen Ansatz von Bodybuilding versucht, das Leben zu kontrollieren. Ja, und es hat dann irgendwann natürlich auch die Rechnung dafür gegeben, da ich sehr extrem mit mir selbst umgegangen bin. Und natürlich ist im Privatleben auch so einiges passiert, dass ich 2019 gesagt habe, ich kann nicht mehr.

Mein Körper und ich, wir waren kein Team – es war Feindschaft!

Sophia Thiel über ihre Essstörungen
Bild: Andrea Zitt

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Die Rechnung, die Dir Dein Körper da ausgestellt hat. Wie sah die aus?

Sophia

Als Kind und Jugendliche war ich immer die Kernige, die Pummelige, die auch gerne mal gemobbt wurde. Und ich wollte schon ziemlich früh abnehmen, komme was wolle. Da habe ich dann gemerkt, okay, ich kann meinen Körper mit Kraftsport formen und ich kann auch meine Ernährung akkurat berechnen und kontrollieren. Und Kontrolle hat mir irgendwo ein Gefühl von Sicherheit gegeben und so habe ich alles dann eben immer sehr extrem gemacht. Wenn man den Körper aber so gewaltsam versucht zu trimmen, dann wehrt er sich und holt sich irgendwann früher oder später wieder alles zurück, was du ihm genommen hast.

Dann kann es zu Anfällen kommen und zu Gewichtszunahme, vielleicht sogar mehr als zuvor. Bei mir hat es schon 2015 angefangen, dass ich mit Essen erstmals zu tun gehabt habe, damals habe ich es aber ignoriert. Ich dachte, ich muss einfach noch mehr Kontrolle ausüben, ich muss einfach stärker und disziplinierter werden und meinen Körper irgendwie unterwerfen. Aber man kann den Körper halt einfach nicht verarschen und das habe ich gemerkt, und zwar Hardcore. Die Diätplane und Trainingspläne haben auf einmal nicht mehr funktioniert und es hat sich einfach nichts mehr getan. Da habe ich mir gesagt „okay, mein Körper stellt sich jetzt gerade voll gegen mich und meinen Kopf“. Es gab sozusagen mich und meinen Körper – wir waren kein Team, sondern es war eine Feindschaft. Ich musste da einfach dem Ganzen auf den Grund gehen und bin dann einen Tag vor der FIBO 2019 quasi einfach abgehauen.

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Man hat Dich in dieser Zeit, die Du gerade beschrieben hast, medial unfassbar oft wahrgenommen. Du warst zu Gast in vielen Talkshows, hast ganz viele Interviews gegeben, warst natürlich bei Social Media wahnsinnig aktiv und hast dann alles von jetzt auf gleich auf null heruntergefahren. Wie fühlte sich diese Zeit des Social Media Detox an, im Vergleich auch zu dieser komplett konträren Zeit davor?

Bild: Andrea Zitt

Ich habe mich gefragt: „Bin ich überhaupt eine gute Influencerin?

Sophia Thiel über ihre Zeit ohne Social Media

Sophia

Als ich plötzlich überhaupt nichts mehr gepostet habe, also kein einziges Bild auf Instagram, keine Stories, keine YouTube Videos mehr, da war der Tag plötzlich total lang. Es war ja das, was ich wollte und trotzdem habe mich erstmal schlecht gefühlt, weil es mir nicht gefehlt hat. Ich habe mich gefragt: „Bin ich eine schlechte Influencerin?“ Es fiel mir zwar noch nie schwer, mein Handy wegzulegen oder abzugeben, aber natürlich ist es irgendwie auch mein Berufswerkzeug, mein Instrument. Und als ich dann mein Handy überhaupt nicht mehr gebraucht habe, habe ich mir gedacht: „Bin ich überhaupt eine gute Influencerin, wenn mir das jetzt nicht fehlt?“

Da kamen schon mal sehr, sehr starke Zweifel auf und gleichzeitig habe ich mich sehr viel hinterfragt. Vielleicht auch ein bisschen zu viel. Denn was macht denn einen guten und schlechten Influencer aus? Zahlen haben ja nichts mit der Qualität zu tun, sondern der Inhalt seiner Beiträge. Aber das habe ich damals noch nicht so gesehen. Damals habe ich versucht, meinen Tag krampfhaft mit anderen Sachen zu füllen. Mir ging es so schlecht wie noch nie – ich dachte, ich habe nichts mehr. Da habe ich die Welt nicht mehr verstanden, denn ich hatte doch plötzlich das, wonach ich mich gesehnt habe: Zeit für mich, Zeit offline, mal keine Diäten und Trainingspläne. Aber in Wahrheit ging es mir noch schlechter, weil ich gar keinen Halt mehr hatte. Es war wahrscheinlich eine Art Identitätskrise, weil ich mich gefragt habe: „Okay, ich bin doch Sophia, ich bin doch Sportlerin und Influencerin, eine Person der Öffentlichkeit – wer bin ich denn jetzt noch?“

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Wie ist denn Dein Umfeld damit umgegangen?

Sophia

Also meine Familie war auch schockiert über meine spontane Entscheidung, die aus dem Nichts kam, sie hat mich aber total in dem unterstützt und war dann auch sehr happy, als ich dann während meiner Auszeit auch eine Therapie angenommen habe. Erst dort konnte ich wirklich die Schritte machen, die ich mir gewünscht hatte. Alleine hätte ich es einfach nicht geschafft. Ich hatte zudem kaum Freunde mehr, meine Bezugspersonen, das waren mein Ex-Trainer und mein Exfreund und die sind beide weggebrochen. Damals habe ich mich isoliert, weil ich nicht erkannt werden wollte. Denn es war ja nicht so, wenn man mich gesehen hat „Okay, Sophia wurde gesichtet! Wie geht’s ihr?“ Sondern meistens „Sophia wurde gesichtet! Wie sieht sie aus?“ Und das war für mich der Grund, dass ich eigentlich nur noch in meiner Wohnung war.

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Was kannst Du auch gerade jungen Menschen für Tipps geben? Wie geht man mit Schwierigkeiten, mit Problemen, wie zum Beispiel Shitstorms in Social Media gut um?

Sophia

Wenn man sich in Social Media aufhält, auch als Influencer, muss man sich an Hate mittlerweile leider gewöhnen. Es wird immer Leute geben, die irgendwas an einem auszusetzen haben. Wenn es nicht der Inhalt der Sache ist, dann finden sie, dass du nicht gut genug aussiehst. Du bist zu dick, zu dünn oder Dein Outfit sieht scheiße aus. Es gibt immer etwas, das die Leute zu kritisieren haben, damit muss man klarkommen. Ich habe über die Jahre hinweg schon gelernt, damit umzugehen und damit zu rechnen. Wenn jetzt noch Kommentare wegen meinem Gewicht oder meinem Körper kommen, dann ist das Schnee von vorgestern. Die Grundstimmung auf meinen Kanälen ist eigentlich immer sehr, sehr positiv, seitdem ich offen mit meinen Schwächen und Fehlern umgehe.

Ich versuche einfach mit meinem Scheitern zu zeigen, das müsst ihr nicht so durchmachen.

Sophia Thiel über das eigene Scheitern
Bild: Andrea Zitt

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Du gehst quasi Deine vermeintlichen Schwächen proaktiv an und nimmst so das Feuer aus der Geschichte?

Sophia

Genau, weil ich finde, mit entwaffnender Herzlichkeit und wenn man offen mit seinen Schwächen umgeht, nimmt man den Hetzern den Wind aus den Segeln. Denn ich hatte auch schon mal einen Shitstorm, das war in meiner Fitness Zeit damals, wo es eben auch um meinen Körper ging. Da wurde ich mit meinem eigenen Plakat, mit den Wettkämpfen verglichen, wie ich aussehe und warum ich so zugenommen habe. Keiner hat gewusst, was wirklich in mir vorgeht oder was in meinem Privatleben gerade passiert.

mmmake

Du hast 1,3 Millionen Follower bei Instagram. Da ist es denkbar, dass sich gerade sehr viel junge Menschen an Dir ein Beispiel nehmen und sich von Deinen Werten, Deiner Persönlichkeit und Deiner Entwicklung viel Orientierung holen. Ist das für Dich eine große Verantwortung?

Sophia

Ich finde Verantwortung kann man nie so wirklich fühlen, dass finde ich ganz schwer greifbar. Aber man ist automatisch drin. Ich finde, man übernimmt automatisch Verantwortung, wenn man mit sich selber kommuniziert. Also ich würde selber nie Produkte bewerben, die ich nicht toll finde. Ich würde selbst nie irgendwelche Lügen erzählen, die anderen schaden könnten, wenn sie mir selber auch nicht gut tun. Und deswegen versuche ich es auch mal im amerikanischen Stil. In Amerika ist es ja schon ein Prädikat, wenn man scheitert. Da musst du erst einmal gescheitert sein, damit man nicht ernst nimmt und dann wieder aufgestanden sein. In Deutschland ist Versagen ganz was Schlimmes. Am besten nie versagen. Und ich versuche dann einfach, wie im amerikanischen Pendant, mit meinem Scheitern zu zeigen, das müsst ihr nicht so durchmachen. Ich möchte, dass ihr einen anderen Weg einschlagt als ich. So ist bei mir passiert und ihr könnt es gleich besser machen.

mmmake

Man merkt, dass Dich das Thema Mental Health wahnsinnig umtreibt. Was verstehst du darunter?

Sophia

Gesundheit oder gesunde Ernährung alleine lässt sich ja ganz verschieden definieren. Es ist schwierig, das zu pauschalisieren und über einen Kamm zu scheren. Ich denke, mentale Gesundheit ist, wenn man nicht nur seine Stärken, sondern auch seine Schwächen kennt und weiß, ab wann man es alleine vielleicht nicht mehr schafft und sich Hilfe holen muss. Ich sehe es das auch genauso, wie wenn du dir den Arm brichst – dann gehst du zum Arzt und wenn du persönliche Probleme hast, auch psychische Herausforderungen, dann gehst du zum Therapeuten. Und da finde ich es immer das wichtig, dass man Klarheit darüber gewinnt, dass man sich selbst reflektiert, mit sich umgeht und auch einfach gewisse Dinge beim Namen nennt und sich dessen nicht schämt.

Der Autor
Team Lead Kommunikation
Stephan
Stock
Stephan berät Fachabteilungen rund um ihren optimalen kommunikativen Außenauftritt.
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