HR-Trends 2024
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Die mehr oder weniger besinnliche Zeit zum Ende eines Jahres wird häufig für einen Rückblick und zur Reflexion genutzt. Gleichzeitig richten viele dabei den Blick auch direkt wieder nach vorne und nehmen die Gedankenspiele zum Anlass, um einen Ausblick zu wagen. Genau das haben Erik Baltrusch, Manager im Bereich „HR International“ aus dem Automotive-Sektor, und Lucas Senzel, Director Human Experience Management-Transformation bei mmmake, ebenfalls getan.
Was Sie nächstes Jahr auf Ihrer HR-Bucket-List stehen haben sollten, verraten sie Ihnen im Artikel.
Lucas: Starten möchte ich mit einem altbekannten Thema – der strategischen Kollaboration zwischen HR & Business
Jede:r kennt es: Erwartungsvoll befreit man an Weihnachten sein frisch überreichtes Präsent vom wertig-glänzenden Geschenkpapier, um nur Sekunden später nach dem Auspacken mit großer Ernüchterung festzustellen: Was? Socken? Ich hatte mir doch was ganz anderes gewünscht.
So oder so ähnlich sind leider noch viel zu häufig die gegenseitigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen HR und Business. Beide Seiten setzen sich meist unzureichend mit den Bedürfnissen des jeweils anderen Partners auseinander. In der Konsequenz erstellt die HR-Abteilung Stellenanzeigen, die nicht den Anforderungen der Fachabteilung entsprechen und die wiederum lässt lange auf sich warten, wenn HR unter großer Anstrengung spannende Profile in der Pipeline hat und Termine für Bewerbungsgespräche koordinieren will. Insbesondere beim Thema strategische Personalplanung oder den zukünftig für das Unternehmen relevanter werdenden Kompetenzen ist leider in der Regel noch viel zu wenig Austausch zu konstatieren. Da wir mit dem Beitrag aber ja lösungs- und keine problemorientierten Impulse setzen möchten, heißen die Stichwörter einmal mehr: nachfragen, zuhören und aktiv Feedback einholen!
Wenn das gelingt, werden Präferenzen transparent und man kann gegenseitig darauf einzahlen. Zudem ist es wichtig, dass HR bei personalrelevanten Themen nicht nur im Driver Seat sitzt, sondern mutig neue Routen befährt. Denn die Zeiten auf dem Arbeitsmarkt sind wilder denn je – so sind so viele Menschen aktiv auf Jobsuche wie nie zuvor. Gleichzeitig zeigt sich eine Tendenz, dass insbesondere Konzerne immer weniger Stellen ausschreiben oder sogar Stellen abbauen. Übergreifende Trendkonferenzen können helfen, einen Abgleich zwischen Business- und HR-Prioritäten zu schaffen und somit Aspekte der Personalplanung, des Performance Managements sowie der generellen Kompetenzentwicklung zielgerichtet und strategisch anzugehen. Durch partizipative Formate, kurze Abstimmungsschleifen und transparente Service Level Agreements (z.B. erste Rückmeldung an Kandidat:innen innerhalb von 24 Stunden) wird es gelingen, dem Thema People nachhaltig die Priorität einzuräumen, die es verdient. Analogien zu Ansätzen aus dem Sales und Marketing sind zudem hilfreich, um HR-Angebote im Sinne einer Produktlogik unternehmerisch zu denken und kreativ in der Positionierung zu werden. Und die lautet dann bestenfalls: HR als People Company!
Erik: Ich möchte noch einen Schritt vorher ansetzen, nämlich bei der Optimierung der HR-Prozesse. Meiner Meinung nach ist das der Grundbaustein für eine erfolgreiche Zusammenarbeit – sowohl innerhalb als auch außerhalb von HR, mit anderen Fachbereichen und vor allem auch Beschäftigten.
Ziel sollte es nach wie vor sein, für alle Beteiligten durchgängige HR-Prozesse zu gestalten, die es ermöglichen, die omnipräsente Transformation in der Geschwindigkeit umzusetzen, die ganz offensichtlich erforderlich ist. Die Realität sieht bisweilen anders aus. Viele HR-Abteilungen haben sich angesichts der wachsenden Komplexität der Themen spezialisiert, was dazu geführt hat, dass die Anzahl der Schnittstellen innerhalb eines Prozesses steigt. Dazu kommen Datenschutz-Ansprüche, interne Compliance-Vorgaben, zu hoch aufgehängte Entscheidungsgremien usw. Die häufige Folge: steigende Prozessunsicherheit, selbst innerhalb der HR-Abteilungen.
Im Zweifel versandet dann eher ein Thema mehr als zu wenig aus „Datenschutzgründen“. Es wird eine Entscheidung zu viel auf die nächsthöhere Ebene eskaliert und es ist eine Unterschrift mehr auf jedem internen Formular zu finden. Vor allem die Zuständigkeitsfrage innerhalb der HR-Abteilungen und zwischen HR und Kund:innen wird angesichts dieser allgemeinen Unsicherheit viel zu häufig gestellt. Leidtragende sind fast immer unsere Kund:innen.
Um die Transformation anderer Unternehmensbereiche als strategischer Partner begleiten zu können, wie es der Anspruch von HR sein sollte, ist die erfolgreiche eigene Transformation eine zwingend notwendige Voraussetzung. Um das zu schaffen, muss sichergestellt sein, dass nicht einfach alte Prozesse in einer neuen Arbeitsorganisation bearbeitet werden. Eine agile Organisationsform zum Beispiel, wirkt meiner Ansicht nach sogar kontraproduktiv, wenn die dahinter liegenden Prozesse nicht auf Agilität ausgerichtet sind oder das entsprechende Mindset fehlt, um beispielsweise schnelle Entscheidungen direkt auf Arbeitsebene zu treffen.
Bedeutet konkret: Es braucht tiefgreifende, gewissenhafte und vielleicht auch trockene Prozessarbeit. Soll die von allen Beteiligten gewünschte Transformation und auch Digitalisierung des HR-Bereiches gelingen, funktioniert das nur, wenn im Unternehmen die Bereitschaft und vor allem die Kapazität hergestellt wird, die bestehenden Prozesse gründlich zu überarbeiten und an die gewünschten Organisationsformen, Tools und Systeme anzupassen, die genutzt werden sollen. Zumindest, wenn merklicher Fortschritt sichtbar werden soll.
Lucas: Wenn wir an Tools und Systeme denken, müssen wir deutlich über die Möglichkeiten von MS Excel-Tabellen hinausblicken. Denn nur mit den richtigen Tools wird es HR-Abteilungen ermöglicht, in Echtzeit valide, datenbasierte Entscheidungen zu treffen.
Mittlerweile gibt es quasi zu jedem Thema aktuelle Daten – sei es zum Konsumverhalten der Deutschen, zum Stand der Digitalisierung oder zum Nikotingehalt von Auberginen. Diese werden dann wiederum genutzt, um bestimmte Vorhersagen oder Entscheidungen zu treffen.
Für HR-Abteilungen bedeutet das im Jahr 2024 definitiv den Fokus mehr auf das Thema People Analytics und den damit verbundenen datenbasierten Entscheidungen zu legen. Denn HR-Daten werden seit Jahren reichlich entlang des Employee Lifecycles gesammelt. Was fehlt ist eine konsequente Nutzung. Dabei gehen die Möglichkeiten weit über die Auswertung von Krankheitstagen und die Analyse möglicher Gründe hierfür hinaus. Angefangen beim Recruiting lassen sich durch das Anfertigen von Skill-Profilen Aussagen darüber treffen, wo die Organisation hier hinsichtlich relevanter Fokus-Themen steht und welche Skills zukünftig beispielsweise durch konkrete Lern- und Trainingsangebote aufgebaut werden müssen.
Auch die Nachfolgeplanung kann so gezielt unterstützt werden, indem Talente für Schlüsselpositionen identifiziert und als Teil eines langfristigen Entwicklungsplans bestmöglich in der neuen Rolle geonboardet werden. Durch Dashboards mit tagesaktuellen Informationen zu Vergütungs-, Organisationsstrukturen und Führungsspannen hat HR einen wesentlich größeren Hebel auf unternehmensrelevante Entscheidungen. Erfahrungsbasierte Einschätzungen rücken damit keinesfalls in den Hintergrund – vielmehr lassen sie sich durch Daten stützen und Verfahrensweisen so objektiv und nachvollziehbar vornehmen.
Erik: HR nimmt deshalb aber zukünftig nicht nur eine analysierende Funktion ein. Für mich ist vor allem die Rolle von HR als Vermittler und Mediator, insbesondere in Zeiten der allgemeinen Gereiztheit, wichtig.
Der Ton ist in den letzten Jahren rauer geworden und das in fast allen gesellschaftlichen Bereichen. Eine sich verändernde Diskussionskultur macht es dabei immer schwieriger, anderer Meinung zu sein und mit dem Gegenüber am Ende dennoch auf einen Konsens zu kommen. Wir müssen hart daran arbeiten, dass sich daran in naher Zukunft etwas ändert. Gleichzeitig, verschärft sich die wirtschaftliche und politische Lage zusehends.
Es braucht also gerade sogar mehr gemeinsam getragene Lösungen und mutige, richtungsweisende Entscheidungen. HR sitzt bei diesen Diskussionen häufig mit am Tisch, oft mit dem vermeidlich schlechten Platz zwischen den Stühlen. Dies ist aber im Grunde unsere Position. Und wer, wenn nicht HR kann diese Lücke zwischen diesen Stühlen am besten schließen? Mehr denn je ergibt sich daraus für mich nicht die Chance, sondern die Pflicht, diese zukunftsweisenden Diskussionen und Entscheidungen aus einer neutralen Rolle heraus zu begleiten und zu moderieren. Häufig sind wir HRler:innen, zumindest auf der Arbeitsebene, aufgrund der Arbeitslast und Vielzahl an offenen operativen Themen in eine Art Defensivhaltung übergegangen. Diese verleitet dazu, uns aus diesen Diskussionen eher rauszuhalten, anstatt eine entscheidungsfördernde Rolle einzunehmen.
Wir sollten jedoch die Stärken nicht vergessen, die viele HRler:innen quasi schon als Persönlichkeitsattribut mit sich bringen: Empathie, Diplomatie, Verhandlungsgeschick und Gesprächsführung. Es klingt zwar banal, aber mangelt es derzeit nicht an vielen Stellen genau daran? Das setzt allerdings voraus, dass wir diese Stärken auch gewinnbringend einsetzen.
Lucas: Diese Auseinandersetzung zeigt, dass HR nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen einen maßgeblichen Einfluss auf das Erleben der Mitarbeiter:innen im Arbeitsalltag hat. Selbstredend sollte dieses natürlich möglichst positiv gestaltet sein. Denn dadurch kann unmittelbar auf die Employee Experience eingezahlt werden.
Das Mitarbeiter:innen-Erlebnis ist oftmals eine gefährliche Kombination aus schier unerfüllbaren Erwartungen und einer außerordentlich hohen Bedeutung. Meist wird da an Tag 1 ein Empfangskomitee gebildet, es liegt ein Geschenk am Platz und das ganze Team ist da – und dann? Nicht selten schießt die Emotional Curve dann nach unten und zwar so steil, als wäre man auf einer Wildwasserbahn im Freizeitpark. Dieser Vergleich ist keinesfalls als Aufruf zu verstehen, zentrale Moments that Matter wie Tag 1 oder das Ende der Probezeit nicht mehr besonders zu gestalten. Vielmehr ist es ein Appell, zusätzlich auch außerhalb dieser Ereignisse, quasi im beruflichen Alltag, ongoing Wertschätzung zu zeigen und somit auf das Thema Mitarbeiter:innen-Bindung einzuzahlen.
Denn eins ist klar: Ohne geeignetes Personal geht nichts – da stehen sowohl Förderbänder in der Produktion still als auch die MS PowerPoint-Slides dieser Welt bleiben weiß – AI hin oder her! Hinzu kommt, dass engagierte Teams für Unternehmen eine im Schnitt um 20 Prozent höhere Rentabilität aufweisen, was mehr Umsatz bedeutet. Authentische Dankbarkeit für die Leistungen und Verdienste der Mitarbeiter:innen lohnt sich immer.
Fazit: 2024 hält für HR einen Mix aus Neuausrichtung sowie Rückbesinnung auf die Kernaufgaben unter Nutzung technischer Potenziale bereit
Für das Jahr 2024 zeichnet sich in Sachen HR-Trends vor allem eines ab: Eine effektivere Zusammenarbeit zwischen HR und den anderen Geschäftsbereichen wird zum Schlüsselfaktor gelebter, positiver Employee Experience. Nur so gelingt es, bestehende Gräben aufzubrechen und Brücken für die Zukunft von HR zu bauen. Dafür muss die strategische Ausrichtung von Business und HR in die gleiche Richtung laufen und durch passgenaue technische Lösungen gestützt sein. Diese Zusammenarbeit wird nicht nur die Grundlagen für eine nahtlose Zusammenarbeit schaffen, sondern auch die Basis für die Integration von HR als Mediator und Vermittler im Unternehmen. Denn HR wird aktiv dazu beitragen müssen, zukunftsweisende Diskussionen zu moderieren und Entscheidungen in einer zeitweise polarisierenden Umgebung zu begleiten. Gleichzeitig darf die Grundlage der HR-Arbeit nicht vernachlässigt werden, denn die besteht weiterhin darin, HR-Beratung und -Administration zu leisten. Wer seinen Mitarbeiter:innen in dieser Hinsicht das Arbeitsleben erleichtern kann, schafft mehr Zeit für effektiveres Arbeiten und steigert somit en passant die Experience. Was es dafür braucht? Mut, die Themen offen anzusprechen und die Bereitschaft, die Zukunft von HR selbst aktiv aus dem Driver Seat heraus zu gestalten.